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Interviewer: Warum leben Sie in einer Großstadt?
Felber: Ich lebe hier als Beobachterin. Und als Teil des Ganzen. Beides stimmt gleichermaßen.
Wir bewegen uns in und vor der Kulisse und spielen unsere Rollen. Und dann schluckt sie uns,
interessiert sich nicht für den Einzelnen- die Stadt. Ja, also wahrscheinlich ist das ein Grund. Ich
brauche die Distanz und dafür den Rollenwechsel, die Rollenvielfalt. Auf dem Land würde ich als
Einsiedlerin leben.
Interviewer: Als Einsiedlerin? Was genau meinen Sie damit?
Felber: Mir erzählte jemand die Geschichte von einem Mädchen, das mit fünf Jahren von der Stadt
ins Dorf und später als Erwachsene wieder in die Großstadt zog. Daraus ergab sich ein interessantes
Problem. Ich möchte den Text, auf dem die Geschichte beruht, kurz zitieren:
"Dein Bruder sagt: Ich bin ein Hamburger. Obwohl ihr nur zwei Jahre in Hamburg wohntet und zwölf Jahre
im Dorf. Aber er sagt eben nicht: Ich bin ein Dörfler. Und du? Du fühlst dich wohl eher als Dörflerin.
Schick, jetzt in der großen Stadt zu leben. Aber immer ist da die Sehnsucht nach dem Idyll. Wald,
Wiesen, See und Berg. Das ist die Landschaft deiner Kindheit. Der See. Umgeben von einer immergrünen
oder schneebedeckten Wiese, lag er im Wald, still, verheißungsvoll. Mittendrin eine kleine Insel.
Einmal, so erzähltest du, warfen deine Freunde dich hinein. Ein Spiel. Nur, dir hingen die Kleider
tropfend vom Leib und der kunstvoll mit Watte ausgestopfte BH klumpte. Dann kam der erste Kuss, im
Wald, am südlichen Seeufer. Er küsste dich und erst als es zu spät war, bemerktest du den Brechreiz.
Der liebende Junge war verstört und du spültest den Mund mit Regenwasser. Der See, die Wiesen, die
Wälder und der Berg. Der Berg wurde von dir aus Verzweiflung bestiegen. Nach wie vor steht auf der
Kuppe die weiße Kirche. Du erzähltest von dem Raub des Kirchenschatzes und dem Großfeuer im entfernten
Dorfteil...." Und so geht es immer weiter.
Das interessante Problem ist die Verklärung. Die Autorin beschreibt eine klaustrophobische,
beängstigende Situation. Die Dorf-Idylle gibt es gar nicht, oder nur in dem verklärenden Blick der
Erwachsenen auf die Vergangenheit.
Mir wäre die Distanzlosigkeit, die Bedrohung in einem Dorf zu groß. Ich würde in der Jetztzeit leben
und könnte erst Jahre später meine Erfahrungen fälschen. Bis dahin müsste ich eine hohe Mauer um mein
Grundstück bauen, um nicht ungewollt geküsst, verbrannt oder beraubt zu werden. Ich glaube, dass ein
Dorf ein sehr gefährlicher Ort ist.
Berlin, 2006
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