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Das mittlere Alter
Die Autorin schreibt einen Text über Menschen, die werden wie sie nie werden wollten, weil sie bleiben, wie sie sind.
Das geht mich persönlich nichts mehr an, weil ich seit gestern in der Yogabewegung bin und die mich rundum straff
verändern wird. Von nichts kommt nichts und Yoga ist Beziehungsarbeit. Meine Beziehung zu mir werde ich auf gedehnte Beine
stellen.
Selbstverständlich bin ich gestresst von Arbeit und sozialen Verpflichtungen. Das ist aber nicht das eigentliche Problem.
Da sitzt etwas viel tiefer. Meine Haltung scheint mir nicht korrekt zu sein. So bin ich zu einer wirklich langweiligen
Partygängerin geworden. Also eigentlich gehe ich da schon gar nicht mehr hin, weil ich ab neun Uhr eine tiefe Sehnsucht nach
einer gemütlichen, angewärmten Liegefläche verspüre. Raffe ich mich trotzdem auf, wie es mir vor einer
Woche passiert ist, schlurfe ich nach einer halben Stunde Feierkrampf Entschuldigungen murmelnd davon.
Dies alles gepaart mit dem Wissen um die Privilegien der Herkunft, Hautfarbe, nicht unbedingt des Geschlechts, befiel mich ein
amerikanisches Gefühl: Die Notwendigkeit mich selbst zu optimieren, zu korrigieren und das eigene Geschick erfolgreich zu
lenken ist so offensichtlich, dass ich nun, wie schon gesagt, in die Yogabewegung eingetreten bin.
Meine erste Stunde: Der Yogalehrer wurde uns als Aushilfe vorgestellt. Aber für die Anfänger sollte es reichen.
Im Ein- und Ausatmen erneuert sich das unzulängliche ICH. Jeder Atemzug macht entspannter, schöner und erfolgreicher.
Wenn der Yogalehrer beim Atmen seine Bauchmuskeln spielen lässt, atme ich vorschriftsmäßig auf dem Rücken
liegend in meine Glieder. Und denke dabei an lehrereigene Muskelstränge. Dagegen kann ich gar nichts machen. Etwas erschrocken
und etwas schuldbewusst spüre ich meinem lustvollen Atem nach. Sogleich fällt mir ein, dass ich ein Recht auf sinnliche
Freuden habe, von diesem Recht aber keinen Gebrauch mache, wobei ich das als allein stehende Frau ja tagein tagaus tun könnte,
weil mich niemand eifersüchtig zuhause einsperrt, es aber doch besser wäre, IRGENDJEMAND würde mich von einem
Privatdetektiven beschatten lassen, um seinen Besitzanspruch geltend zu machen.
Und jetzt ist der Yogakurs auch schon zu Ende. Die Frau auf der Matte nebenan stellt ihre glückliche Ausstrahlung unverschämt
offen zur Schau. Ich kann mich nicht erinnern, ob sie das entspannte Gesicht schon vor der Stunde an hatte? Wahrscheinlich lebt sie einfach
selig und im Überfluss am Stadtrand zusammen mit ihrem herrlichen Ehemann und den zwei bezaubernden Kindern.
Neidisch und übellaunig schleppe ich mich zum Auto. Es ist neun Uhr und mir steht der Sinn nur noch nach Erholung und Schlaf.
Auf der Fahrt nach Hause fällt mir ein, dass eine Freundin einen Meditationskurs macht. Sie schwärmt seit Monaten von der Erfahrung,
endlich etwas gegen ihre immer öfter auftretende schlechte Laune zu tun. Die Meditation hilft ihr auch dabei, die ganz, ganz fiesen
Gefühle wie Neid und den unaussprechlichen anderen Bodensatz der menschlichen Niederungen erfolgreich auszurotten.
Um zehn Uhr liege ich im Bett und werde mich morgen für den Meditationskurs als yogaunterstützende Maßnahme
anmelden.
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