|
Mein eigentliches Leben
Er öffnet die Balkontür und steht am Meer. Eigentlich müsste das Wasser in das karge Zimmer schwappen. Oder die Balkontür müsste den Blick auf toskanische Landschaften freigeben. Eigentlich müsste alles anders sein.
Vor Jahren, er studierte eine Fächerkombination, die ihn zum Lehrer qualifizierte, entschied er sich dagegen. Gegen das Lehrerdasein. Wenn er schwul wäre, hätte er es in der Schule nicht leicht. Nicht, dass er schwul war. Nur so ein bisschen verliebt in einen Mann. Eigentlich wollte er mit Olga zusammen sein. Schon auf der gemeinsamen Klassenfahrt bewunderte er ihren leichten Gang. Aber dann kam die Leidenschaft zu seinem besten und auch einzigen Freund. Er beendete die heimliche Liebe nach kurzer Zeit, weil er ja eigentlich gar nicht anders war, als alle anderen auch. Hätte Olga ihn nur erhört, wäre er bereit gewesen.
Dann begann er mit dem Studium. Sein eigentlicher Wunsch, Schauspieler oder Sänger zu werden, war nur Spielerei. Die langen Nächte in Hotels, fern der Heimat, sah er voraus und wusste, dass das kein Leben für ihn sei. Also hätte er sich beinahe für die Philosophie interessiert, wie sein bester Freund. Es kam aber irgendwie anders und er schrieb sich für das Lehramt ein. Lesen, Wissen, Träumen, Augen, Ohren, Herzen rühren, das lag ihm. Der aufrechte Bernd, ein Studienkollege, tat es ihm sofort an. Und bald lagen sie eng umschlungen auf dem Bett. Das ging nicht gut, weil eigentlich nichts wirklich Schwules an ihm war. Es sollte doch nur Freundschaft sein. Aber eine enge, besondere Freundschaft. Die Enge wurde mit der Zeit zu viel und er suchte das Weite.
Olga. Sie trafen sich wieder. Und wurden ein Paar mit Trauschein und Kinderwunsch. Aber noch nicht gleich. Der Zeitpunkt ist eigentlich gerade ungünstig. Das Leben geht erst los. Beruf, Karriere, auch wenn er eigentlich kein Karrieretyp ist.
zurück
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
|
|
|