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Jederzeit
Morgen ist Freitag. Freitag ist mein freier Tag. Heute träume ich von morgen und lege "Free Highway" in den Compact Disc-Spieler. REO Speedwagon, Kansas, The Charlie Daniels Band und natürlich Meat Loaf bringen mich in Fahrt. Wir donnern die Route 66 entlang, dem Sonnenuntergang entgegen. Dann halten wir an, entflammen aufgeschichtetes Holz und uns gleich dazu. Von der freien Liebe erschöpft sinken wir ineinander. Du lächelst mich mit deinem ganzen Charme an: Hey baby, let's go wild any time you want.
Heute ist Freitagmorgen. Ich schlafe und schlafe und schlafe. Danach bleibe ich in der Dusche stecken. Das warme Wasser sprenkelt mich und ich treibe Wurzeln. Unter der Dusche kommen den Erfindern gute Gedanken. Mir auch. Ich sollte mit dem Duschen aufhören. In anderen Regionen der Welt ist das Wasser dermaßen knapp, dass ganze Dorfgemeinschaften für Tage von dem leben könnten, was mir in der letzten halben Stunde durch die Zehen geronnen ist.
So hängt eben alles zusammen.
Ich habe mich in meinem Freitag verheddert. Wie kann sich ein frisch gebackener Arbeitsloser bloß umstrukturieren nachdem sein Arbeitsplatz umstrukturiert wurde und er immerhin aufgrund dieses Strukturwandels aus der Mitte raus gefallen ist. Dieser Arbeitslose hat ja nur noch Freitage. Gibt es irgendeine Untersuchung über den Zusammenhang von Strukturwandel und Wasserverbrauch?
Ich bin selbständig oder etwas andres, aber auf alle Fälle arbeite ich als Selbständige, bin also nicht arbeitslos und insofern kann ich heute meinen freien Tag genießen.
Ich donnere die Kaiser Friedrich Straße entlang. Der Frühling zwitscherte heute Morgen vor dem Fenster. Es ist Aufbruchszeit. Zum Jahreszeitenwechsel gehört mindestens ein Paar neue Söckchen. Die hole ich mir jetzt.
Obwohl ich auf dem Weg zu dem genau definierten Ziel bin, eine innere Struktur erfolgreich aufgebaut und eine Zielerreichungsstrategie gewählt habe, fehlt etwas. Auch nachdem die Söckchen meine Söckchen sind bleibt die Leerstelle. Die nächsten Stationen meines Freitages sind: Ein Imbisslokal für den Verzehr von Kaffee und anderen Getränken sowie kleinen Speisen, ein Theater mit Weinausschank, Gähnen im Foyer, Verabschiedung auf der Straße.
Nein, es fehlt nicht die Liebe, auch nicht die viel diskutierte Familie, das Geld, die Arbeit oder irgendetwas Irdisches. In der Nacht von Freitag auf Samstag, Ende Mai, entdecke ich den Fehler im System: Irgendein Unternehmensberater hat der Bundeskanzlerin geraten, die Visionen zu kürzen, um endlich wieder Vollbeschäftigung für Alle zu erreichen. Die Tagträumerei ist dem Rotstift zum Opfer gefallen, die moderne Kunst wird künftig geklärt und wir bekommen Sicherheit.
Wir liegen unterm Sternenhimmel. Dein Lächeln wärmt mich. Wir brechen auf. Donnern die Straße entlang, dem Sonnenaufgang entgegen. Hey baby, let's go wild any time you want.
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